Eindrücke vom Einsatz im Hochwassergebiet
In den westdeutschen Hochwassergebieten sind seit Wochen Tausende Helferinnen und Helfer im Einsatz, um die betroffenen Menschen zu unterstützen und bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Unter den Einsatzkräften waren auch mehrere Mitglieder der BRK Bereitschaften Oberallgäu. Sie berichten von ihren Eindrücken.
Julia Rebuck, die den Fachdienst Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) der BRK-Bereitschaften im Oberallgäu sowie den Arbeitskreis Krisenintervention leitet, war zusammen mit einer Kollegin und einem Kollegen aus dem Kriseninterventionsdienst vier Tage lang im Landkreis Ahrweiler im Einsatz. Eine Woche später reisten 15 ehrenamtliche Kräfte verschiedener Bereitschaften des BRK Oberallgäu als Teil des Hilfeleistungskontingents Schwaben ins Katastrophengebiet, darunter Sebastian Stadler von der BRK Bereitschaft Kempten. Er erzählt: „Als wir im Katastrophengebiet ankamen, waren schon fast zwei Wochen seit der Flutkatastrophe vergangen. Trotzdem waren die Zustände noch schlimm. Man kann sich kaum vorstellen, wie verheerend es anfangs dort ausgesehen haben muss. In unserem Einsatzgebiet waren viele Gebäude komplett zerstört, bei anderen war vom Keller bis zum 1. Obergeschoss alles unbewohnbar.“ Zigtausende Menschen hätten in den Fluten alles verloren: Haus, Auto, Papiere, Mobiliar, in besonders tragischen Fällen sogar Angehörige oder Freunde. „Einheimische und Helfer sind seit Wochen ununterbrochen dabei, die Schäden zu beseitigen, Schlamm und alles, was sich darin befindet, aus den Häusern zu schaufeln, marode Mauern herauszureißen. Die Trümmer werden auf riesigen provisorischen Halden außerhalb der Orte gelagert, von wo sie dann, wohin auch immer, abtransportiert werden.“ Was sofort auffalle, sei der Geruch nach Fäulnis, nassem Unrat und Diesel, der über allem liege und sich in Haaren und Kleidung einniste. „Der hat mich bis ins Allgäu zurück verfolgt.“
Julia Rebuck ergänzt: „Das Ausmaß der Vernichtung – nicht nur in räumlicher Hinsicht – hat mich erschüttert, zumal ich die Gegend sehr gut kenne und somit weiß, wie es vorher hier aussah. Die gesamte Infrastruktur ist zerstört: Straßen und Bahnlinien sind stark beschädigt, Brücken sind einfach weggebrochen oder unpassierbar. Die Strom- und Trinkwasserversorgung ist vielerorts noch ein Problem. Telefon und Mobilfunk funktionieren nach wie vor nur sehr eingeschränkt oder gar nicht.“ An eine Rückkehr zu einem normalen Leben sei momentan gar nicht zu denken. Da von dem Schlamm und Staub eine hohe Kontaminationsgefahr ausgeht, waren Julia Rebuck und ihre KollegInnen bei ihren jeweils acht- bis zwölfstündigen Einsätzen mit FFP-2-Masken mit Filter unterwegs. „Wir haben sehr viele Kurzentlastungsgespräche mit Betroffenen und auch mit Einsatzkräften geführt und dabei auch Menschen getroffen, die ihre Häuser nicht verlassen wollten, aus Angst vor Plünderung. So etwas gab es unfassbarer Weise tatsächlich“, bedauert sie. Für die Kriseninterventionskräfte sei es auffällig gewesen, „dass die Menschen fast alle noch im `Organisieren-Modus´ waren und noch nicht dazu gekommen sind, die Geschehnisse zu realisieren und zu verarbeiten.“ Die psychischen Folgen der Katastrophe werden zwar zeitverzögert, aber unweigerlich eintreten werden, vermutet die Fachfrau, etwa in Form von posttraumatischen Belastungsstörungen. „Dann wäre es wichtig, dass ausreichend psychologische und psychotherapeutische Hilfe greifbar ist.“
Trotz der Verheerung seien ihnen die Menschen sehr freundlich und überwiegend positiv begegnet, berichten Julia Rebuck und Sebastian Stadler einhellig. An vielen Gebäuden – oder dem, was davon übrig war – hingen selbstgeschriebene Schilder, auf denen den Helfenden gedankt wird. Deren schiere Masse sei beeindruckend, so Stadler. „Tausende Einsatzkräfte von Feuerwehren, Bundeswehr, Rotem Kreuz, THW und zahlreichen anderen Hilfsorganisationen aus ganz Deutschland sammeln sich im Lagezentrum am Nürburgring. Das Areal gleicht einer riesigen Zeltstadt mit einer kompletten Infrastruktur.“ Die Einsatzkräfte hätten vielerorts Ersatzstromerzeuger, mobile Toilettenhäuschen und Duschcontainer für die Bevölkerung aufgestellt. Auch von einer riesigen Feldküche für die Bevölkerung weiß er zu berichten. „Dort werden rund 1.000 Menschen pro Tag unentgeltlich mit Frühstück, Mittag- und Abendessen und auch mit Trinkwasser versorgt. Wir selbst hatten übrigens 24.000 Hühnereier dorthin gebracht, die ein Geflügelhof bei Altusried eigens für die Menschen im Katastrophengebiet zur Verfügung gestellt hatte.“ Auch die Zivilbevölkerung aus der Umgebung sei extrem hilfsbereit, betont Julia Rebuck. „Die Menschen aus den Nachbarorten, die von der Flut verschont geblieben sind, haben beispielsweise zivile Hilfsstellen eingerichtet, an denen Lebensmittel und Kleidung ausgegeben werden. Jeder, der irgendwie kann, packt irgendwo mit an. Den Zusammenhalt in der Bevölkerung und auch unter den Einsatzkräften zu erleben, war wirklich beeindruckend.“
Sie selbst habe aus dem Einsatz Ideen für Ihre ehrenamtliche Arbeit zuhause mitgenommen. „Ich würde gerne Spenden generieren, um für unseren Fachdienst Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) beim BRK Oberallgäu ein eigenes Dienstfahrzeug anschaffen zu können, mit Tisch für Besprechungen und Gespräche und Material. Dann könnten wir bei künftigen Großschadenslagen schneller effektiv arbeiten. Zudem schweben mir einige Aus- und Fortbildungen vor, die für unsere Teammitglieder sinnvoll wären, zum Beispiel Funkübungen oder die Vertiefung der Katastrophenschutzkenntnisse.“